Gegenwart und Geschichte des Frauenprojektes „Siedlung Loheland“ – ANETT MATL
Loheland liegt etwa 10km von Fulda entfernt in Richtung Rhön und gehört zur Gemeinde Künzell. Neben der biologisch-dynamischen Landwirtschaft wird hier ein Tagungshotel, eine Waldorfschule und –kindergarten, eine Berufsfachschule für Sozialassistenz, eine Schreinerei sowie ein Café mit Bioladen betrieben. Loheland ist vom Bhf. Fulda aus durch eine Busanbindung gut erreichbar, außerdem gibt es auf dem Gelände ausreichend Pkw-Stellplätze.
Geschichte:
In der hessischen Rhön eröffneten 1919, dem Gründungsjahr des Weimarer Bauhauses, zwei Frauen die Schule „Loheland, Schule für Körperbildung, Landbau und Handwerk, Lehrweise von Rohden – Langgaard“ auf einem unbebauten Heideland, wo im Herbst gleichen Jahres 80 junge Frauen ihre Ausbildung begannen. Die zwei Gründerinnen waren die Gymnastiklehrerinnen Hedwig von Rohden (1890-1987) und Louise Langgaard (1883-1974), die beide im Ausland geboren und an verschiedenen Orten aufgewachsen waren und schon in Kassel 1912 ein „Seminar für Klassische Gymnastik“ eingerichtet hatten. Es war die Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche in Deutschland, kurz nach Gründung der Weimarer Republik, die Zeit der Lebensreform, des Wandervogels, der Frauenbewegung, der Gartenstadtbewegung, des Werkbundes und von Rudolf Steiner. Noch immer war es fast spektakulär, dass junge Frauen in Loheland die Möglichkeit erhalten sollten, eine Ausbildung als Gymnastiklehrerin oder im Kunsthandwerk zu absolvieren!
Ziel war es in Loheland, jungen Frauen berufliche Abschlüsse und Erfahrungen in vielfältigen Lebensbereichen zu ermöglichen, die sie zu einem selbstbestimmten Leben befähigen und aus den Zwängen des bürgerlichen Lebens befreien sollten. Es war eine Pionierarbeit, die von den Loheländerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Erwachsenen- und Körperbildung geleistet wurde. Zugleich waren diese hervorragend vernetzt in der Szene der innovativen Siedlungsbewegungen, der Jugendarbeit, der Reformpädagogik, der Gymnastik und des modernen Kunstgewerbes. „Loheland-Gymnastik“ wurde ein stehender Begriff und der eigens entwickelte Ausdruckstanz sorgte landesweit für Furore.
In kurzer Zeit wurden zahlreiche Gebäude zum Teil mit größeren Wegstrecken dazwischen für Wohnen, Unterricht, Zusammenkünfte, Handwerk und Landwirtschaft errichtet, so dass eine Streusiedlung mit Blick auf die Hügelketten des heutigen Biosphärenreservats Rhön entstand. Zu dem ganzheitlichen Bildungskonzept gehörte der Kontakt zur Natur auf den eingeplanten Wegstrecken dazu, wie auch das Zeichnen, Musizieren oder die Mitarbeit in der Gemeinschaftsküche, im biodynamischen Garten oder den Werkstätten. Die Bauten der zwanziger Jahre sind vielfältig gestaltet mit individuellen Formen, darunter Rundbauten, Teilfertighäuser und umgebaute Eisenbahnwaggons – eine frühe Form des heute im Trend liegenden Upcyclings.
Gegenwart:
Auf einer Wald- und Landfläche von 55 Hektar angelegt, wird die Siedlung mit ihren ca. 50 Gebäuden heute als „exemplarisches Frauenprojekt der Moderne“ bewertet. 16 Gebäude aus der Anfangszeit stehen heute unter Denkmalschutz, ebenso die gesamte Anlage als Ensemble.
Seit 1971 betreut eine Stiftung, die Loheland-Stiftung, die einstige Frauensiedlung. Bis heute, seit nunmehr über hundert Jahren, steht damit stets eine/zwei Frauen an der Spitze der Leitung der Siedlung! Wie kaum ein anderes Projekt der Reformzeit ist in Loheland der Geist einer ganzheitlichen Lebens-, Lern- und Arbeitsgemeinschaft bewahrt, den noch heute an die 70 Bewohner:innen und auch die hier Lernenden und Arbeitenden leben. Das Gelände wie auch ein Bioladen mit eigenen Erzeugnissen und angeschlossenem Café bildet den Raum für Begegnungen zwischen Bewohner:innen und Besucher:innen.
Über die Referentin:
Anett Matl
Studium der Kunstgeschichte in Bamberg und Berlin
Selbstständige Kunsthistorikerin in Fulda
Seit Jahresbeginn 2022 Archivarin der Stiftung Loheland